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Dolmetscher- und Übersetzer-Ausbildungsstätten im Vergleich: Germersheim und München

Dolmetscher- und Übersetzer-Ausbildungsstätten im Vergleich: Germersheim und München

Schon im Beitrag Der Weg zum Beruf des Übersetzers haben wir grob den möglichen Werdegang von Sprachmittlern aufgezeigt. Heute wollen wir auf zwei Ausbildungsstätten der Branche in Deutschland näher eingehen: die Universität Mainz in Germersheim mit dem Fachbereich 06 „Sprache, Kultur, Translation“ (FTSK) und das SDI (Sprachen- und Dolmetscherinstitut) in München.

Studium als Übersetzer und Dolmetscher an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Germersheim

Kurz zu den wichtigsten Fakten: Germersheim ist die deutschlandweit führende Institution in Sachen Dolmetscher- und Übersetzerausbildung. Zur Zeit der Nürnberger Prozesse gegründet, bietet sie heute Platz für rund 1700 Studierende, die im Bachelor- und Masterstudiengang eine frei wählbare Kombination von bis zu 3 aus 13 angebotenen Sprachen, darunter auch Arabisch und Chinesisch, belegen können. Für die europäischen Sprachen muss vor Studienbeginn ein Sprachniveau von mindestens B2 nachgewiesen werden, ansonsten gibt es keine Beschränkungen.

Bei der Wahl von 3 Sprachen müssen die künftigen Dolmetscher und Übersetzer beachten, dass die Kurse in der dritten Fremdsprache eher einem typisch schulischen Spracherwerb ähneln, da der Schwerpunkt weniger auf dem Dolmetschen und Übersetzen als auf Grammatik und Wortschatz liegt. Weiß man vor Studienbeginn über diese Hierarchie zwischen den Sprachen Bescheid, fällt eine sinnvolle Wahl leichter als wenn man davon ausgeht, bei der Wahl von drei Sprachen würden alle drei gleichmäßig behandelt. Schade, dass es hier an einer klaren Vorabinformation fehlt.

Davon abgesehen ist das Dolmetscher- und Übersetzerstudium in Germersheim inhaltlich sehr fundiert. Im Bachelor wird Grundwissen eben nicht nur im Übersetzen, sondern ebenso in Sachen Linguistik, Kulturwissenschaft und einem frei wählbaren Sachgebiet (Medizin, Recht, Technik und Informatik) vermittelt. Als daran anschließender Masterstudiengang ist entweder Übersetzen (worin wiederum einzelne Schwerpunkte möglich sind) oder Konferenzdolmetschen wählbar. Was leider etwas zu kurz kommt, ist das aktive Lernen der Fremdsprache durch ihr Sprechen – eigentlich nicht verständlich, da die überwiegende Anzahl der durchaus fähigen Dozenten Muttersprachler ist. Der Germersheimer Student muss sich zu diesem Zweck, wenn er sprachlich „am Ball bleiben“ will, außeruniversitäre Gruppen suchen.

Ein weiteres dringend anzusprechendes Manko der Germersheimer Ausbildung ist das Fehlen eines Pflichtmoduls oder auch nur einer Pflichtveranstaltung zum Thema „computerunterstütztes Übersetzen“ – und das, wo in so gut wie jeder Stellenanzeige der Branche auf dem Arbeitsmarkt Kenntnisse über CAT-Tools fast schon vorausgesetzt werden. Der angehende Übersetzer bzw. Dolmetscher muss sich diese Kenntnisse entweder selbst aneignen oder erst einmal entsprechende Praktika absolvieren, wo man sonst möglicherweise schon eine Anstellung haben könnte.

Das Sprachen- und Dolmetscherinstitut in München aus Sicht unseres Praktikanten

Um das Sprachen- und Dolmetscherinstitut in München fair beurteilen zu können, muss man wissen, dass sich hier drei Ausbildungstypen (Berufsfachschule, Fachakademie und die relativ junge Hochschule mit in der Regel dreisemestrigen Masterstudiengängen) unter einem Dach befinden. Während in der Berufsfachschule Sprachenberufe wie Fremdsprachenkorrespondent gelehrt werden, bietet die Fachakademie nach üblicherweise 6 Semestern einen Abschluss als „Staatlich geprüfter Übersetzer“ bzw. „Staatlich geprüfter Dolmetscher“ an. Es sind ebenfalls mehrere Sprachen wählbar: Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Spanisch, Türkisch. Wer einen Bachelorabschluss anstrebt, muss noch ein bis zwei zusätzliche Semester belegen, in welchen dann – neben dem in der Fachakademie gelernten Übersetzen – alle universitären Inhalte auf einmal untergebracht sind. Rechnet man dazu das verpflichtende Schreiben einer Bachelorarbeit und die Tatsache, dass in der Fachakademie zuvor noch nicht einmal eine simple Hausarbeit zu verfassen war, wird klar, dass dies auf einen nicht zu unterschätzenden Arbeitsaufwand hinausläuft.

Der Unterricht an der Fachakademie hat seinerseits einen hohen Anspruch, indem er Kurse in Vom-Blatt-Übersetzen (auch „Stegreifübersetzen“ oder „Spontanübersetzen“ genannt) und bereits in leichtem Verhandlungsdolmetschen miteinschließt. Diese sind ein eindeutiges Plus, weil hier schnelle Lernfortschritte zu erzielen sind und auch die für einen Dolmetscher notwendige Interaktivität eingeübt wird. Davon könnte auch Germersheim lernen.

Das Bewusstsein des SDI für Trends in der Berufswelt zeigt sich auch in mehreren Bachelorstudiengängen mit Chinesisch. Die Hochschule des SDI und insbesondere deren Masterstudiengänge eignen sich für diejenigen, denen eine „bloße“ Übersetzerausbildung zu wenig ist und die durch den Ausbau von BWL- und Managementkompetenzen ein besseres Standbein auf dem Arbeitsmarkt gewinnen wollen. Dazu muss ergänzt werden, dass ein Studium am SDI nur dann Sinn ergibt, wenn es der Student von vornherein dual anlegt, das heißt sich schon während des, bzw. noch besser, vor dem Studium eine Stelle sucht. Der Umstand, dass in jedem Semester zwei bis drei Tage pro Woche frei sind, legt das auch mehr oder weniger deutlich nahe. Leider ist dies auf Grund der aktuellen Corona-Krise nicht für alle realisierbar.

Die Unterschiede zwischen den Dolmetscher- und Übersetzer-Ausbildungsstätten bestehen vor allem im Formellen

Welche Ausbildungsstätte für ein Übersetzer- bzw. Dolmetscherstudium einem liegt, ist also sehr stark von den persönlichen Vorlieben und Zielsetzungen abhängig. Sprachlich-übersetzerische Kompetenz erhält der Student definitiv beiderorts. Aber: Will ich ein klassisch geradliniges Studium in Germersheim oder einen schnellen Studienabschluss über mehrere bildungsformelle Hürden am SDI? Hier spiegelt sich sozusagen der Konflikt „staatliche vs. private Hochschule“ im Brennglas wider. Erstere ist vor allem theoretisch fundiert, letztere praxisorientiert und eher als „Turbostudium“ angelegt. Zum Trost bleibt festzuhalten: Vor dem Personalchef sind alle transkulturellen Sprachprofis erst einmal gleich.