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GMP-Dolmetscher berichten über Remote-Inspektionen

GMP-Dolmetscher berichten über Remote-Inspektionen

Im Interview des russischen Pharmaportals Pharmprom.ru schildert der auf Pharmazie spezialisierte Dolmetscher Alexander Podarewski seine Erfahrungen mit den ersten und nachfolgenden GMP-Remote-Inspektionen in Deutschland.

Interview von Pharmprom.ru mit dem Pharma- und GMP-Dolmetscher für Russisch Alexander Podarewski

Aufgrund der Coronavirus-Pandemie haben eine Reihe von Zulassungsbehörden, darunter auch PIC/S, FDA und das russische Staatliche Institut für Arzneimittel und GxP (FBU „GILS i NP“), GMP-Inspektionen von ausländischen Pharmaunternehmen gestoppt oder diese auf unbestimmte Zeit verschoben. Nach Medienberichten über den Mangel an (zum Teil lebenswichtigen) Medikamenten in Russland sowie über die Einführung verschiedener Mechanismen durch die russische Regierung zur Verbesserung dieser Situation machten auch weitere Medien in den folgenden Monaten den Russen Angst vor einer drohenden Verknappung vieler Medikamente. Um Medikamentenengpässe zu vermeiden, fand die russische Aufsichtsbehörde schnell einen alternativen Ansatz und entwickelte eine Methode zur virtuellen GMP-Remote-Inspektion mittels Videoübertragung. Die GMP-Remote-Inspektion ist jedoch in vielerlei Hinsicht anders aufgebaut als die "klassische" GMP-Inspektion vor Ort.

Darüber und über seine Erfahrungen mit so genannten GMP-Remote-Inspektionen in Deutschland sprach das russische Pharma-Informationsportal Pharmprom.ru mit Alexander Podarewski, Fachübersetzer, Pharmazie- und GMP-Dolmetscher sowie Geschäftsführer von AP Fachübersetzungen in Nürnberg.

Sie waren der erste Dolmetscher, der eine russische GMP-Remote-Inspektion in Deutschland durch die russische Aufsichtsbehörde GILS i NP begleitet hat. Wie würden Sie das neue Format beschreiben?

- Unser Unternehmen ist auf das Dolmetschen von GMP-Inspektionen in Europa sowie auf schriftliche deutsche, englische und russische Übersetzungen von pharmazeutischen Dokumentationen spezialisiert. Einer Reihe von Unternehmen, die den russischen und EAWU-Markt mit verschiedenen Arzneimitteln beliefern, standen vor dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie zahlreiche behördliche GMP-Inspektionen bevor, meist mit dem Einsatz von Dolmetschern. Allerdings wurden die meisten GMP-Inspektionen nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit seit Ende März 2020 abgesagt oder verschoben. Dank der Entwicklung eines alternativen Ansatzes konnten jedoch viele der vorübergehend abgesagten GMP-Inspektionen online bzw. im Remote-Modus durchgeführt werden.

Die erste GMP-Remote-Inspektion (oder einfach „Ferninspektion“ genannt) für die Einhaltung der Anforderungen der Guten Herstellungspraxis (Englisch-Übersetzung: Good Manufacturing Practice, GMP) wurde unter Corona-Bedingungen durch das russische Inspektorat im schweizerischen Basel durchgeführt. Inspiziert wurde das Unternehmen Roche. In Deutschland war der Standort von Madaus, einer Tochtergesellschaft von Mylan, der erste, der in der gleichen letzten Maiwoche 2020 inspiziert wurde. Ich wurde als Russisch-Dolmetscher für diese GMP-Inspektion eingeladen. Seitdem wurden viele weitere GMP-Inspektionen von Pharmaherstellern im deutschsprachigen Raum mit der Unterstützung unserer Dolmetscher durchgeführt.

Eine GMP-Remote-Inspektion setzt eine detaillierte Überprüfung von Dokumenten, Videos und anderen Informationen (auf verschiedenen Datenträgern) des zu inspizierenden Standorts sowie eine gründliche Bewertung aller möglichen Risiken voraus. In der Vergangenheit besuchten die Inspektoren in Begleitung von Dolmetschern den Wareneingangsbereich, die Lagerräume für Wirkstoffe, für andere Komponenten und Fertigprodukte, die Wägebereiche, die Produktionsbereiche, die Labore für die Inprozesskontrolle und mikrobiologische Reinheitskontrolle, die Gebäudetechnik und die Nebenbereiche mit der Besichtigung von Wasser- und Luftaufbereitungsanlagen und viele andere Bereiche. Derzeitige Verbote von Reisen ins Ausland für GMP-Inspektoren, eine Reihe von „sozial distanzierenden“ Maßnahmen und andere Beschränkungen beeinträchtigen die Möglichkeiten der Pharmaproduzenten erheblich. Für den Erfolg eines Audits ist es jedoch entscheidend, alle genannten Bereiche und Schritte in den Produktionsprozessen zu demonstrieren, damit die GMP-Inspektoren ordnungsgemäß überprüfen können, dass an diesem Standort tatsächlich alles in Ordnung ist, oder sie sonst entsprechende Beobachtungen machen können.

Eine Remote-GMP-Inspektion wird wie die Inspektion vor Ort von zwei Inspektoren durchgeführt. Die Inspektoren kommunizieren mit dem zu inspizierenden Standort per Videokonferenz. Was die Teilnehmer früher live miterleben konnten, versuchen sie nun durch Videoaufnahmen und Bilder vom Firmengelände und von der Produktion nachzuempfinden. Ansonsten läuft es, wenn ich es sehr kurz beschreiben soll, auf die Prüfung von Unterlagen hinsichtlich des Aufbaus der Prozesse im zu inspizierenden Pharmaunternehmen hinaus. Die Prüfer weisen jedoch darauf hin, dass die Remote- bzw. Dokumenteninspektion die übliche Vor-Ort-Inspektion nicht vollständig ersetzen wird. Daher werden die GMP-Inspektoren nach dem Ende der Reiseverbote zum üblichen Inspektionsverlauf zurückkehren.

Herr Podarewski, inwieweit hat sich die Arbeit des GMP-Dolmetschers angesichts der Pandemie und des Online-Audits verändert?

- Der Übergang zur GMP-Remote-Inspektion hat die Art und Weise der Kommunikation erheblich verändert, und zwar wie der Dolmetscher mit dem Gesprächspartner, für den gedolmetscht werden soll, interagiert. Bisher arbeitete der Dolmetscher immer „persönlich“, d.h. die Beteiligten waren persönlich und physisch anwesend und kommunizierten in verschiedenen Sprachen. Für kaum jemanden von uns ist der Einsatz moderner Kommunikationsmittel etwas Neues oder bereitet irgendwelche Schwierigkeiten.

Alltägliche Kommunikation wie etwa ein Gespräch über das Wetter oder andere triviale Themen ist jedoch etwas grundlegend Anderes als die Übermittlung von Informationen, von denen nicht nur das Schicksal eines global agierenden Pharmaunternehmens, sondern auch die Medikamentenversorgung einer ganzen Nation abhängt. Das Dolmetschen ist eine der anspruchsvollsten geistigen Tätigkeiten überhaupt. Und das Pharmadolmetschen gehört zu den allerkomplexesten Dolmetschgebieten. Es setzt nicht nur eine Fachausbildung sowie einwandfreie linguistische Fertigkeiten voraus, sondern auch die Fähigkeit, die Ausgangsinformationen problemlos wahrzunehmen und sie blitzschnell in eine andere Sprache zu übertragen. Des Weiteren vermittelt der Dolmetscher nicht nur Informationen, sondern agiert auch auf einer nonverbalen Ebene: Er überträgt menschliche Emotionen. Dazu gehören nicht nur Mimik und Gestik, sondern auch die Intonation des Gesagten. Dies wiederum setzt voraus, dass man sich gegenseitig ungestört sehen und hören kann.

Wie wird das technisch erreicht?

- Nicht nur die Qualität der Telekommunikationsverbindung spielt eine extrem wichtige Rolle. Dazu gehören ein hochwertiges Mikrofon, ein Lautsprecher, Kopfhörer mit Nebengeräuschunterdrückung, „Spinne“, Breitband-Internet, eine stabile Verbindung bzw. ein einwandfreies WLAN, eine optimale Schallisolierung des Raums bei gleichzeitiger Sicherstellung einer angemessenen Betriebslautstärke sowie eine Möglichkeit der Bildschirmteilung und die Verfügbarkeit eines schnellen technischen Supports im Falle einer Störung. Aber auch eine Reihe von Nebenfunktionen ist wichtig. Während es eine ganze Reihe von Programmen „alleine“ für die Kommunikation mit mehreren Gesprächspartnern gibt, ist die Möglichkeit, Dateien auszutauschen, Dokumente schnell hochzuladen und sicher aufzubewahren besonders wichtig. Schließlich handelt es sich um vertrauliche pharmazeutische Informationen.

Es ist kein Geheimnis, dass eines der erfolgreichsten Tools für solchen Austausch Slack ist. Die Anwendung der App Cisco Webex Meetings ist sehr beliebt geworden. Microsoft hat es jedoch geschafft, seine Konkurrenten von der Spitze zu verdrängen, indem es ein Produkt namens Microsoft Teams herausgebracht hat. Zusätzlich zur unbegrenzten Anzahl von Chat-Nachrichten und Suchfunktionen bietet Teams integrierte Audio- und Videoanrufe für Einzel-, Gruppen- und Teambesprechungen. Wichtig ist auch der gemeinsame Speicherplatz: 10 GB plus zusätzlich 2 GB pro Benutzer, und er kann von Mitarbeiter-Teams mit bis zu 300 Personen genutzt werden – und das in der kostenlosen Version des Programms. Auch die Möglichkeit der Kommunikation und Interaktion mit Personen außerhalb des Teams Ihres Unternehmens, wie z. B. GMP-Inspektoren, ist überzeugend. Alle genannten Software-Lösungen, die meines Wissens auch die gängigsten sind, bieten eine Integration mit anderen Produkten und Apps und haben viele weitere nützliche Funktionen, auch wenn sie für GMP-Inspektionen nur sekundär sind. Für Pharmaunternehmen und Zulassungsbehörden ist eines der wichtigsten Attribute die extrem hohe Sicherheit dieser Systeme. Und für mich als Sprachmittler bieten diese Programme eine erstaunlich klare Sprachübertragung ohne Audio- oder Video-Interferenzen bei der Kommunikation. Die Anwendung Zoom bietet noch ein weiteres Feature für besonders anspruchsvolle Projekte: unterschiedliche Dolmetscherkanäle für Simultandolmetscher.

Sind die GMP-Dolmetscher während der gesamten Remote-Inspektion anwesend?

- Vorab ist anzumerken, dass eine GMP-Remote-Inspektion aus zwei Hauptschritten besteht: der Selbstprüfung der angeforderten Anlagendokumente durch die GMP-Inspektoren und der Beantwortung von Fragen der GMP-Inspektoren, die sich während der Überprüfung der Dokumentation ergeben (das betrifft die Dokumenteninspektion). Bei der GMP-Dokumenteninspektion vereinbaren die Parteien Telekonferenzen zur Beantwortung der Fragen der GMP-Inspektoren durch entsprechende Mitarbeiter des Pharmaunternehmens. Dabei ist es möglich, dass ein Dolmetscher an dem geprüften Standort persönlich erscheint oder dass der Dolmetscher virtuell an diesen Telekonferenzen teilnimmt.

Bei der überwiegenden Mehrheit der GMP-Inspektionen zur Überprüfung der Übereinstimmung mit der Guten Herstellungspraxis werden freiberufliche Dolmetscher engagiert. Das sind in der Regel Freiberufler, die keinen Bezug zu dem zu inspizierenden Pharmaunternehmen haben. Die im Rahmen des GMP-Inspektionsplans vorgesehenen Telekonferenzen finden manchmal nur ein- oder zweimal während der gesamten GMP-Inspektion, in einigen Fällen auch mehrmals täglich und recht spontan statt. Da aber die Freiberufler von Natur aus Übersetzungsdienstleistungen für eine große Anzahl von Kunden erbringen und einen ziemlich vollen Terminkalender haben können, kann es im Falle der Teilnahme per Internet-Zuschaltung und der geplanten stundenweisen Verdolmetschung zu erheblichen Schwierigkeiten mit der Verfügbarkeit des Dolmetschers führen, wenn sich Änderungen in der Inspektion ergeben. Daher tendieren die meisten Pharmaunternehmen dazu, einen Dolmetscher vor Ort zu haben, um mit seiner Hilfe in jedem unvorhergesehenen Moment kommunizieren zu können. Darüber hinaus ist es zwischen den Online-Besprechungen mit den GMP-Inspektoren oft notwendig, einige Dokumente sowie Fragen der GMP-Inspektoren per E-Mail für die nächsten Besprechungen zu übersetzen. Daher haben wir Dolmetscher immer etwas zu tun.

Im nächsten Interview des Pharma-Internetportals Pharmprom.ru wird Alexander Podarewski über die Besonderheiten des Online- bzw. Remote-Dolmetschens im Bereich GMP und des Dolmetschens mit persönlicher Anwesenheit am ferninspizierten Standort, über die Änderungen beim Modus der GMP-Inspektionen selbst, über die Erwartungen von Pharmaunternehmen, deren Vor-Ort-Inspektionen abgesagt wurden, sowie über die Rolle eines Vertreters des inspizierten ausländischen Pharmaherstellers berichten. Und im dritten Interview dieser Pharmprom.ru-Artikelreihe wird Alexander Podarewski die Leser über die Bedeutung der Vorbereitung auf die Remote-GMP-Inspektion und die Besonderheiten des aktiven Teils der Prüfung informieren.