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Dolmetscher erzählen über russische GMP-Inspektionen

Dolmetscher erzählen über russische GMP-Inspektionen

Nürnberger Fachübersetzer und Simultandolmetscher für Russisch haben bereits bei vielen GMP-Inspektionen und Audits erfolgreich gedolmetscht und erzählen die Einzelheiten unseren Lesern und insbesondere den Pharmaunternehmen im deutschsprachigen Raum.

Besonderheiten russischer GMP-Inspektionen aus Sicht eines Fachdolmetschers

Viele deutsche Pharmaunternehmen streben danach, den russischen Markt zu erschließen, haben allerdings mit den russischen Behörden und deren Inspektoren nur wenig oder gar keine Erfahrung. In den ersten zwei Jahren nach der Gründung der russischen Inspektionsbehörde GILS i NP am 12. April 2016 wurden indische Pharmahersteller am häufigsten inspiziert, doch seit 2018 stehen die deutschen Unternehmen an der Spitze. Daran wird sich zunächst einmal nichts ändern. Was sollten deutsche Pharmafirmen über die Herausforderungen bei den russischen GMP-Inspektionen wissen?

Darüber haben wir mit Herrn Alexander Podarewski, dem Gründer von AP Fachübersetzungen aus Nürnberg, gesprochen, der sich auf das Dolmetschen bei Inspektionen und Audits spezialisiert.

Herr Podarewski, Sie und Ihre Mitarbeiter haben bereits bei sehr vielen Inspektionen und Audits gedolmetscht. Was können Sie unseren Lesern und insbesondere den Pharmaunternehmen im deutschsprachigen Raum über die Besonderheiten der russischen GMP-Inspektionen berichten?

- Mein Dolmetscher- und Übersetzungsbüro ist seit 2010 auf dem Markt und deckt eine große Palette an Sprachen ab. In dieser Zeit haben wir viele pharmazeutische Texte unter anderem ins Russische und Deutsche übersetzt. Bei russischen GMP-Inspektionen dolmetschen wir allerdings erst seit 2017, also kurz nach der Gründung des russischen Inspektorats GILS i NP. Zu Deutsch bedeutet das: „Staatliches Institut für Arzneimittel und gute Herstellungspraxis“, welches dem Ministerium für Industrie und Handel (Minpromtorg) der Russischen Föderation unterstellt ist. Das Institut GILS i NP ist für die Durchführung von GMP-Inspektionen zuständig. Der Antrag auf die Ausstellung des russischen GMP-Zertifikats wird beim Minpromtorg gestellt.

Nun ist es so, dass ca. 30 Prozent der russischen Inspektionen nicht bestanden werden. Dies ist ein recht schlechter Wert.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Größe des Pharmaunternehmens und der Erfolgsquote beim Bestehen der Inspektion?

- Bei Big Pharma ist die Quote etwa nur halb so hoch. Dennoch finden die russischen Inspektoren bei den großen Pharmafirmen, die die europäischen und amerikanischen GMP-Zertifikate haben, immer wieder beachtliche Unregelmäßigkeiten, infolge derer das Minpromtorg die Ausstellung des russischen Zertifikats verweigert. Diese Unregelmäßigkeiten hängen meist mit der Produktion von sterilen Arzneimitteln zusammen, wenn das Unternehmen keine Untersuchungen anstellt, die der Findung des Root Cause der Unregelmäßigkeit – der Unsterilität – dient.

Dabei haben wir auch kleine Pharmahersteller mit weniger als 100 Mitarbeitern erlebt, die die Inspektion mit „links“ bestanden haben.

Die russischen GMP-Richtlinien basieren auf den europäischen. Gibt es da Unterschiede?

- Ja und Nein. Dazu muss man sagen, dass die in Russland aktuell geltenden GMP-Richtlinien eine direkte Übersetzung der Version 4.0 des europäischen GMP-Leitfadens 2013 darstellen. Seit der Gründung der Behörde im Jahr 2016 wurden die russischen GMP-Richtlinien nicht geändert. Es ist geplant, dass Russland ab Juni 2020 gemäß den neuen GMP-Richtlinien der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) Inspektionen durchführt. Diese neuen GMP-Richtlinien der EAWU sind eine Übersetzung des europäischen GMP-Leitfadens in der Fassung aus dem Jahr 2015. Sie sind bereits fertig und von der EAWU anerkannt, doch Russland prüft gemäß diesen neuen Richtlinien noch nicht. Ich bin allerdings der Meinung, dass die Umsetzung sich aufgrund der Coronaepidemie um weitere 6-12 Monate verzögern wird.

Wie verläuft überhaupt eine Inspektion?

– Eine Inspektion beginnt damit, dass der Hersteller einen Antrag auf Inspektion stellt sowie eine bestimmte Liste von Dokumenten beim Minpromtorg einreicht. Innerhalb von 10 Tagen prüft das Ministerium die eingereichten Dokumente. Wenn es zu den Dokumenten keine Fragen gibt, wird ein Auftrag auf Durchführung der Inspektion vorbereitet und an das Institut GILS i NP weitergeleitet. Das Institut erstellt einen Ablaufplan, stimmt ihn mit dem Minpromtorg der Russischen Föderation ab, benachrichtigt den Hersteller und erstellt einen Inspektionsplan unter Berücksichtigung der Elemente des Produktionsprozesses, die zu prüfen sind. Anschließend wird der Inspektionsplan an den Hersteller geschickt. So kann er sich auf die Inspektion vorbereiten, die notwendigen Dokumente beschaffen und den Inspektoren zur Verfügung stellen. Ein Inspektionsteam aus mindestens zwei Inspektoren - abhängig vom jeweiligen zu prüfenden Produktionsvolumen – besucht den Standort. Die durchschnittliche Dauer einer Inspektion beträgt 3 bis 5 Tage. Wenn es mehrere Pharmaunternehmen in der gleichen Region gibt, bemüht sich GILS i NP so zu planen, dass die Inspektionen so schnell wie möglich durchgeführt werden können. Zu Beginn einer Inspektion findet eine Eröffnungsbesprechung statt; am Ende jedes Arbeitstages eine Zusammenfassung der Ergebnisse und Beobachtungen des Tages und am Ende der Inspektion eine Abschlussbesprechung.

Was passiert danach?

- Sollten Verstöße festgestellt werden, so werden diese den Standortvertretern bei der Abschlussbesprechung noch während der Inspektion bekannt gegeben. Die Verstöße werden nicht klassifiziert, dennoch kann das Pharmaunternehmen die ungefähre Klassifizierung aus diesen Nichtkonformitäten ableiten. Der Inspektionsbericht wird innerhalb von 30 Kalendertagen nach Beendigung der Inspektion am Standort erstellt. Nach seiner Fertigstellung verbleibt eine Ausfertigung bei GILS i NP, eine zweite Ausfertigung wird an den russischen Vertreter des Herstellers versendet und eine dritte geht an das Minpromtorg zur Entscheidungsfindung. Im Inspektionsbericht können nur die Nichtkonformitäten aufgeführt sein, die auch in der finalen Besprechung kundgetan wurden. Es können jedoch auch weniger werden, wenn die entsprechenden Fragen geklärt und die Dokumente dazu nachgereicht werden konnten. Sobald der Bericht fertig ist, wird die Zulassungsbehörde des jeweiligen Landes des Herstellers informiert.

Was sind die häufigsten Verstöße, die von den russischen Behörden bemängelt werden?

- Das sind Abweichungen vom Zulassungsdossier, Nichterfüllung der aseptischen Anforderungen, Sterilität sowie die unzureichende Beprobung der eingehenden Rohstoffe. Manchmal sind die Unternehmen mit den GMP-Richtlinien laut Aussagen von mehreren Inspektoren nur oberflächlich vertraut.

Worauf achten die russischen Inspektoren besonders?

- Ich glaube, dass es weniger eine Rolle spielt, aus welchem Land die Inspektoren kommen. Die GMP-Richtlinien stellen ein Regelwerk mit den Anforderungen an die Organisation der Produktion und Qualitätskontrolle dar. Die russischen Inspektoren müssen daher sicherstellen, dass die Produktion am geprüften Standort den jeweils gültigen GMP-Richtlinien Russlands entspricht.

Wenn das Produkt für Russland auf verschiedenen Linien bzw. Anlagen produziert, abgefüllt, abgepackt usw. wird, dann wollen die russischen Inspektoren alle diese Linien und Anlagen sehen.

Bei allen ausländischen Inspektionen gibt es natürlich bestimmte nationale Besonderheiten, z. B. Deutungen und Herangehensweise der Experten. Nicht alle Inspektoren klassifizieren die Verstöße als kritisch/major/minor auf die gleiche Weise. Der Spielraum ist gewaltig, solange es keine genaue Klassifizierung gibt. Alles hängt von der Deutung des konkreten Inspektors und seiner Qualifikation und Erfahrung wesentlich ab.

Können Sie uns von irgendwelchen Kuriositäten aus Ihrer Laufbahn als GMP-Dolmetscher berichten?

- In der Tat. Die Produktionsprozesse werden entsprechend dem Antrag des Herstellers für jedes einzelne Präparat angeschaut. Hier muss man sehr vorsichtig sein und bei der Antragstellung nur die Produkte angeben, die für das Zielland relevant sind und somit Gegenstand der Inspektion sein sollen. Ich hätte hierauf nicht gesondert hingewiesen, doch einmal ist ein großes Missverständnis passiert. Und zwar wurden alle Produkte, die am Standort produziert werden, für diese russische Inspektion angemeldet. Und das kam erst im Laufe der Inspektion heraus. Sie können sich die Reaktion der Mitarbeiter des Pharmaherstellers vorstellen, als sie während der Inspektion nach meiner Verdolmetschung plötzlich hörten: „Es werden alle [ca. 30] Produkte geprüft, ganz egal, ob sie potenziell nach Russland gehen würden oder nicht.“ Dabei waren nur zwei Präparate für Russland bestimmt. Der Fehler lag beim russischen Beratungsunternehmen, welches den Antrag beim Minpromtorg eingereicht hat. Es war ein Übersetzungsfehler in der Kommunikation: Irrtümlicherweise wurden alle Produkte des Standortes angegeben statt der lediglich zwei, die für Russland relevant waren. Die Aussage der Inspektoren dazu war: „Wir haben Verständnis dafür, dass das ein großes Missverständnis ist. Jedoch müssen wir unsere Arbeit gemäß Ihrem Antrag machen. Dort hat Ihr Vertreter alle [rund 30] Produkte angegeben und wir sind verpflichtet, alles in den Bericht mit aufzunehmen. Wenn Sie diese Inspektion bestehen, würden Sie ein GMP-Zertifikat für alle Präparate bekommen, was Ihnen große Möglichkeiten auf dem russischen Markt eröffnet“. So viel zur Wichtigkeit von korrekten und genauen Fachübersetzungen.

Wie würden Sie die russischen Inspektoren charakterisieren?

- Die Aufgabe der Inspektoren ist es, zu prüfen, dass die nach Russland gelieferten Arzneimittel für die Bürger ihres Landes sicher sind. Oft sagen sie es bereits zu Beginn der Inspektion, gleich nach der Kennenlernrunde: „Neben der Einhaltung der GMP-Standards werden wir uns anschauen, dass Sie hier tatsächlich das herstellen, was Sie in Ihrem Antrag angekündigt haben.“ Sie sind dafür bekannt, dass sie zwar sehr streng, jedoch kompetent und fair sind. Alle Inspektoren der russischen Behörde kommen aus der Branche. Obwohl viele von ihnen recht jung sind, überraschen sie teilweise auch „alte Hasen“ der sehr soliden Pharmaliga mit ihrer Professionalität und Erfahrung in der gesamten Produktion.

Was würden Sie den Pharmaherstellern empfehlen, um eine Inspektion erfolgreich zu bestehen?

- Es kommt nicht gut an, wenn die russischen Inspektoren das Gefühl bekommen, dass etwas verheimlicht wird. Demzufolge entsteht Vertrauen, wenn die Zusammenarbeit offen und ehrlich ist.

Jedes inspizierte Pharmaunternehmen sollte möglichst erfahrene Mitarbeiter zur Beantwortung der Fragen der Inspektoren heranziehen. Und natürlich ist es unerlässlich, zuverlässige Dolmetscher heranzuziehen, die der Aufgabe fachlich gewachsen sind.